Ewiges Eis – Abenteuer-Trip in die Antarktis – Teil 2. Von Gast-Autor Tom Drexler

Nach einem ausgiebigen “Bad” in Pinguinen, ersten Erfahrungen auf stürmischen Meer und dem Inhalieren der pittoresk-schönen Landschaft von Südgeorgien abwärts,  stechen wir weiter gen Süden in See. Die Zeit verfliegt unter anderem mit einer ca. 2-stündigen ‚back-stage‘-Führung durch das Schiff und wir sehen sehen Bereiche, zu denen man normalerweise keinen Zutritt hat. Der Maschinenraum beeindruckt mit 4 riesigen Dieselgeneratoren, wir sehen die hochmoderne Wasseraufbereitungsanlage, das Recyclingsystem, die Wäscherei u.v.m.

Das Schiff betreibt ein eigenes, kleines Ökosystem. Mittels Entsalzungsanlagen werden pro Tag ca. 110 Tonnen Wasser produziert. Das so erzeugte Wasser hat beste Trinkwasserqualität. Sämtliche Abfälle werden recycelt, das bisschen was sich nicht recyceln lässt, wird an Land entsorgt. Alle Abwässer werden gereinigt, das so gereinigte Wasser wird ins Meer zurückgeführt. Es ist eine teure, state-of-the-art Umwelttechnologie. Viele Städte auf unserem Planeten sind diesbezüglich schlechter ausgestattet. Manche behaupten, wenn ein solches Schiff in die Antarktis fährt, ist der Kontinent danach sauberer als vorher.

Backstage-Tour durch die Hanseatic Nature

Endlich erreichen wir erstmals die Antarktis. Wir fahren an einer großen Station der Argentinier vorbei. Man sagt die Station Esperanza (spanisch für Hoffnung) wäre für Forschungszwecke errichtet, eigentlich dient diese wohl eher der Sicherstellung der argentinischen Gebietsansprüche. Die Station ist ganzjährig besetzt. Im Jahr 1977 hat Argentinien eine hochschwangere Frau dort hingebracht und einige Tage später ist das erste antarktische Baby zur Welt gekommen. Politik ist und bleibt ein eigenartiges Geschäft.

Wir fahren weiter durch den Antartic Sound, überall schwimmen Eisberge. Auf vielen sitzen Pinguine und lassen sich treiben. Kreuzfahrten im Pinguin Style.

Gegen Mittag erreichen wir ‚Brown Bluff’, die braune Klippe. Ein Farbklecks in einer sonst recht monochromen Landschaft. Eine 745 m hohe Klippe beherrscht das Panorama. Vor mehr als einer Million Jahren ist hier einmal ein Vulkan ausgebrochen. Zodiacs bringen uns an den 3 km langen Strand aus Fels und Asche. Wir betreten erstmals antarktischen Boden. Es brüten viele Adelie- und Zügelpinguine. Anja ist glücklich.

Brown Bluff
Ein brütender Pinguin.

Putzige Pinguine – sie halten ganz gerne eine Siesta ab!

Ein neuer Tag beginnt: Gegen 7 Uhr früh laufen wir in einer kleinen Bucht ein: Half Moon Island. Klingt romantisch, ist es nicht. Die Temperatur beträgt minus 5 Grad und es schneit waagerecht. Einige Unverzagte gehen von Bord. Wir machen eine kleine Wanderung und sind froh, bald wieder auf das Schiff zu dürfen.

Die Half Moon-Bucht
Anja, die Wind und Wetter trotzt.

Nachmittags besuchen wir Deception Island. Die Insel ist vulkanischen Ursprungs und das Schiff fährt durch eine etwa 700 m breite Einfahrt in eine riesige, mit Wasser gefüllte Caldera. Der Kapitän muss das Schiff recht nah an die Felsen heranmanövrieren, da in der Mitte der Einfahrt die Wassertiefe nur 4 Meter beträgt. In einer Bucht liegt ein verrostetes Schiffswrack. Wir verfolgen die Einfahrt auf der Brücke und schnappen folgende Konversation zwischen Kapitän und Steuermann auf – Kapitän: ‚are you nervous‘? – Steuermann: ‚no, Sir‘ – Kapitän: ‚but I am‘. Lachen können wir darüber erst, als wir durch die enge Einfahrt durch sind.

Die Brücke der Hanseatic Nature

Der Vulkan von Decption Island ist immer noch aktiv, zuletzt vor ca. 50 Jahren. Wir schauen uns die Überreste der Walfangstation an, die beim letzten Vulkanausbruch zerstört wurde. Steigen auf einen ca. 100 Meter hohen Hügel und genießen die Aussicht. Auf der anderen Seite der Caldera ist eine argentinische und eine spanische Forschungsstation. Beide sind zurzeit noch unbesetzt.

Deception Island

Am frühen Abend verlassen wir Deception Island. Das Wetter klart auf und wir sehen endlich das ewige Eis in prachtvollen Farben am Horizont.

Tag. 15: Eine Borddurchsage weckt uns um 6 Uhr früh. Wir springen im Nachthemd auf den Balkon und sind auf einen Schlag hellwach: blauer Himmel, kristallklares Wasser, schneebedeckte Berge und viele, viele Eisberge.

Ein Bild mit Seltensheitswert: Sonne, Meer und Eisberge.

Wir gehen in Cuverville Island von Bord. Die Pinguine nisten hier bis zu 200 Meter über dem Meer. Sie nutzen ihre eigenen Pinguin-Highways, um ins Meer und wieder zurück zu kommen. Einige Pinguine klettern weiter den Berg hoch, fast bis zum Gipfel. Sind wohl “Reinhold Messner”-Pinguine, eine neue, bis dato unbekannte Art.

Cuverville Island

Anschliessend fahren wir mit den Zodiacs durch die Paradise Bay, schauen Eisberge und trinken Sekt. Ja, ein bisserl Dekadenz darf bei der “Reise unseres Lebens” schon sein 🙂

klirrend kalter Sekt passend zu Temperaturen und Ort!
Paradise Bay

Nachmittags kämpft sich das Schiff erstmals durch dichtes Meereis. Der Kapitän versucht die Lemaire Strasse zu erreichen. Leider müssen wir aber ca. 9 Seemeilen davor auf ca. 65 Grad südlicher Breite umkehren. Das Eis ist zu dicht, wir kommen nur mit geringer Geschwindigkeit voran und würden unser Ziel erst nach Einbruch der Dunkelheit erreichen.

Auch heute geizt der Kapitän nicht mit seinem trockenen Humor. Wir sind erneut auf der Brücke und schauen dem Kapitän bei seiner Arbeit zu. Plötzlich dreht er sich zu uns um und fragt: ‚Haben Sie denn gar keine Angst?‘. Darauf einer der Passagiere: ‚Nein, warum?‘. Worauf der Kapitän erwidert: ‚Naja wir kommen ja jetzt zu den Eisbergen und da hört man ja so viel‘.  Dazu läuft die Titelmusik aus dem Film Titanic.

65 Grad Süd ist dann auch der südlichste Punkt unserer Reise, zum Vergleich auf der Nordhalbkugel liegt die finnische Stadt Oulu ca. auf 65 Grad Nord. Vom Südpol sind wir noch 2.800 Kilometer entfernt.

Der südlichste Punkt der Reise. Bis zum  Südpol sind es noch 2.800 km.

Tag 16: Port Lockroy und Neko Bay. Unsere Reise neigt sich langsam dem Ende zu. Wir besuchen Port Lockroy, eine sehr kleine, britische Station auf einem Felsen.  In den Sommermonaten betreiben vier englische Studenten ein kleines Museum und einen Souvenirshop. Man lebt 5 Monate ohne fließendes Wasser und Internet. Wir bekommen einen Stempel im Pass auf den wir sehr stolz sind. Und sehen wieder – erraten – viele Pinguine.

Port Lockroy

Nachmittags dann der letzte Stopp der Reise, Neko Harbour. Auch hier nisten die Pinguine in luftigen Höhen. Wir wandern gemeinsam mit den kleinen, flugunfähigen Vögeln den Berg hoch.

Neko Bay

Kurz vor dem Verlassen der antarktischen Halbinsel sehen wir endlich auch Wale. Leider sind die Fotos unscharf, die Meeressäuger waren für mein Objektiv zu weit entfernt. So ist aber auch das Walversprechen des Kapitäns eingelöst worden. Unsere Politik sollte sich ein Beispiel nehmen.

Ein Wal – zumindest eine sichtbare Flosse

Tag 17 und 18: Wir fahren zurück nach Usuhaia durch die berüchtigte Drake Passage, die angeblich gefährlichste See der Welt. Leider haben wir kaum Wind und Wellen von nur ca. 2 Metern. Ich bin enttäuscht – die anderen nicht.

Wir lassen diese wunderbare Reise nochmals Revue passieren. Die Antarktis ist ein Platz, der schwer in Worte zu fassen ist. Wir haben nur die antarktische Halbinsel besucht, der riesige Rest des riesigen Kontinents ist für Normalsterbliche unerreichbar. Und dennoch entwickelt man in den wenigen Tagen ein Gefühl für die Größe, Vielfalt und Schönheit dieses Kontinents. In diesem für uns Menschen extrem unwirtlichen Teil des Planeten wimmelt es nur so von Leben: Sechs verschiedene Pinguinarten, unzählige Vogelarten, verschiedenste Robben, Seeelefanten, Seebären, Seeleoparden, Wale u.v.m. Der gesamte Kontinent unterliegt dem sog. ‚Antarctic Treaty‘ und ist ein Naturschutzgebiet. Der Einfluss der Menschheit muss sich darauf beschränken, diesen Zustand zu erhalten.

Ich frage mich auf dieser Reise immer wieder, ob ein solcher Trip tatsächlich sein muss. Warum lassen wir diese und andere Bereiche unseres Planeten nicht einfach in Ruhe? Ist es nicht dekadent, an Deck ein BBQ abzuhalten und Champagner zu trinken, während das Schiff rechts und links von Eisbergen, Gletschern und Pinguinkolonien flankiert wird? Eine Antwort ist nicht eindeutig zu geben, aber wenn man mit offenen Augen diese Reise begeht, so erschließt sich schnell, wie wichtig es ist, Natur und Biosphäre unseres Planeten besser in unsere Handlungen und Entscheidungen mit einzubeziehen.

Die Expeditionscrew rund um Nadine Armbruster hat exzellente Arbeit geleistet. Die Landgänge waren immer perfekt organisiert und extrem kurzweilig. Das Team zeigte uns die schönsten Stellen, wir haben Wanderungen gemacht und durften auch auf kleinere Hügel steigen. Der Expeditionsleiter Thorsten Prietz hat mich am letzten Tag auf einen Berg steigen lassen, den er anderen nicht zumuten wollte. Die Vorgabe war, dass ich immer in Sichtweite bleiben sollte. Als ich im Nebel verschwand, wurde er kurzzeitig leicht nervös. Anja konnte ihn beruhigen, sie kennt mich und normalerweise weiß ich, was ich tue. Eine solche Flexibilität ist allerdings keineswegs selbstverständlich, insbesondere auf einem Schiff, wo einige schon an ihre körperlichen Grenzen gelangen, wenn sie aus dem Zodiac aussteigen müssen.

Der Kapitän Thilo Natke ist der Star der Mannschaft. Alleine die Tatsache, dass er Passagiere selbst bei schwierigsten Fahrmanövern auf die Brücke lässt, spricht für ihn. Er ist die Ruhe in Person und seinen trockenen Humor verliert er nie. Und er weiß, wie man ein Schiff durch diese Gewässer steuert, das ist wohl das Wichtigste.

Ein großes Kompliment gilt auch an dem Chief Engineer Lars Walter. Seine exzellente Führung durch die ‚back-stage‘-Bereiche des Schiffes hat uns gezeigt, mit welchem Herzblut er seinen Job macht. Während der Führung und auch nachher, im persönlichen Gespräch, hat er uns viele Optimierungsvorschläge für das Schiff präsentiert. So hat er die Position des Pool kritisiert. Durch die nicht mittige Lage auf Deck 8 würde bei stärkerem Seegang zu viel Wasser überschwappen – ein leicht zu vermeidender Konstruktionsfehler. So muss Engineering!

Am Schluss nochmals ein paar Sätze zur Eisklasse der Hanseatic Nature und der Schwesterschiffe Hanseatic Inspiration und Hanseatic Spirit. Wie bereits geschrieben, verfügt das Schiff über Eisklasse PC 6 (Polar Class 6). Die Eisklassen beginnen mit PC1, der höchsten Klasse bis zu PC 7. Die höchste Klasse PC 1 wird üblicherweise bei atomgetriebenen, nicht zivilen Eisbrechern vergeben. Diese Schiffe können sich durch 4 Meter dickes Eis bis zum Nordpol vorkämpfen. Unser Schiff hat die höchste Eisklasse für ein kommerzielles Passagierschiff. Die technischen Hauptmerkmale sind der halbe Spandabstand im Hauptbereich des Schiffes (35 cm, anstelle von 70 cm). Dadurch hat der gesamte Schiffskörper eine höhere Festigkeit. Eine verstärkte Außenhaut von bis zu 18 mm am Bug stellt sicher, dass Kontakt mit Eis problemlos möglich ist. Die zwei Propeller sind aus Edelstall, nicht wie sonst üblich aus Bronze, denn dies würde beim Kontakt mit Eis verbiegen. Die Maschinen sind elastisch gelagert, dadurch überstehen diese auch starke, durch den Kontakt ausgelöste Vibrationen. Am Heck unter der Wasserlinie befindet sich ein sog. ‚Ice knife‘. Dies sorgt dafür, dass bei Rückwärtsfahrt das Eis zerschnitten wird und die Propeller nicht beschädigt. Wir fuhren auf unserer Reise nur durch junges, einjähriges Eis. Mit der Eisklasse PC 6 kann die Hanseatic Nature aber auch altes, mehrjähriges Eis fahren. Dies ist insbesondere in den arktischen Fahrgebieten von Bedeutung.

Damit ist auch klar, wohin uns unsere nächste, große Schiffsreise führt.

Servus, Euer Tom!

One Response

  1. Danke Tom,
    Es war genau so wie beschrieben! Du ersparst mir eine Menge Arbeit !
    Liebe Grüsse
    Waltraud und Sepp

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